Die Bedeutung von Coaching in Organisationen
Im Kontext der Organisationsentwicklung (OE) hat Coaching zunehmend an Bedeutung gewonnen und sich zu einem unverzichtbaren Instrument entwickelt, das weit über die persönliche Weiterentwicklung hinausgeht und wesentlich zur Transformation von Organisationen beiträgt. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle des Coachings in verschiedenen Phasen der Organisationsentwicklung und zeigt auf, wie es eingesetzt werden kann, um Unternehmen zu unterstützen. Basierend auf den Forschungen von Erich Schäfer und Wolfgang Kühl (Coaching als Instrument der Organisationsentwicklung) sowie den Theorien von Frédéric Laloux (Reinventing Organizations) und Claus Otto Scharmer (Theory U) wird veranschaulicht, wie Coaching in einer zunehmend komplexen Arbeitswelt dazu beiträgt, Potenziale zu entfalten und Organisationen an neue Herausforderungen anzupassen.
Coaching in der Organisationsentwicklung: Ein Überblick
1. Die Rolle des Coachings in modernen Organisationen
In einer Welt, die von VUCA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) und BANI (Brüchigkeit, Ängstlichkeit, Nichtlinearität und Unbegreiflichkeit) geprägt ist, müssen sich Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln. Coaching mit seinem reflexiven und iterativen Ansatz hat sich in diesem Zusammenhang als zentrales Instrument etabliert. Es ermöglicht Unternehmen, nicht nur auf Veränderungen zu reagieren, sondern diese proaktiv zu gestalten und zu steuern.
Schäfer und Kühl beschreiben Coaching als einen wesentlichen Bestandteil des sogenannten „Transflexing“, einem kontinuierlichen Prozess der Selbsterneuerung auf individueller, Team- und Organisationsebene. Dieser Ansatz unterstreicht, dass Coaching nicht nur als reaktive Maßnahme genutzt wird, sondern in den Aufbau anpassungsfähiger und flexibler Organisationsstrukturen eingebettet ist.
2. Ein Stufenmodell des Coachings in der Organisationsentwicklung
Das von Schäfer und Kühl entwickelte Modell beschreibt den Einsatz von Coaching in Organisationen auf vier verschiedenen Stufen, die jeweils mit unterschiedlichen Reifegraden des organisationalen Bewusstseins einhergehen. Jede Stufe repräsentiert eine spezifische Art und Weise, wie Coaching die Entwicklung und Transformation von Organisationen fördern kann:
- Stufe 1: Konformistische Organisationen
In traditionell hierarchischen Systemen wird Coaching vor allem punktuell eingesetzt, um individuelle Krisen zu bewältigen. Externe Coaches werden hinzugezogen, um Führungskräfte bei der Bewältigung persönlicher Herausforderungen in Veränderungsprozessen zu unterstützen. Coaching wird hier nicht als kontinuierliches Entwicklungsinstrument verstanden. - Stufe 2: Leistungsorientierte Organisationen
Auf dieser Stufe wird Coaching zunehmend strategisch genutzt, um die Effektivität von Einzelpersonen und Teams zu steigern. Es dient als standardisierte Maßnahme, um sicherzustellen, dass Veränderungsprozesse reibungslos ablaufen und die Leistung optimiert wird. Der Fokus liegt weiterhin stark auf der individuellen Entwicklung. - Stufe 3: Pluralistische Organisationen
In pluralistischen Organisationen, die auf Kooperation und Konsens setzen, ist Coaching tief in die Organisationskultur integriert. Es unterstützt nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Selbsterneuerung von Teams und der gesamten Organisation. Coaching wird genutzt, um verschiedene Perspektiven zu fördern und die Komplexität der heutigen Arbeitswelt zu bewältigen. Diese Stufe entspricht dem Stakeholder-Bewusstsein nach Scharmer, bei dem das Wohl der gesamten Organisation und ihrer Interessengruppen im Vordergrund steht. - Stufe 4: Integrale evolutionäre Organisationen
Auf der höchsten Stufe der organisationalen Entwicklung wird Coaching zu einem transformativen Werkzeug, das darauf abzielt, das Potenzial von Individuen, Teams und der gesamten Organisation zu entfalten. Führungskräfte übernehmen hier selbst Coachingrollen und tragen zur kontinuierlichen Entwicklung der Organisation bei. Coaching wird nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv eingesetzt, um zukünftige Herausforderungen frühzeitig zu antizipieren und die Organisation langfristig weiterzuentwickeln.
3. Praktische Anwendung und Nutzen
Das vorgestellte Modell bietet Organisationen eine wertvolle Orientierungshilfe, um zu erkennen, welche Formen von Coaching in ihrem spezifischen Kontext am besten geeignet sind. Ein häufiger Fehler besteht darin, zu komplexe Coaching-Ansätze in Organisationen zu implementieren, die noch nicht dafür bereit sind. Beispielsweise kann in konformistischen Organisationen ein transformatives Coaching überfordernd wirken. Stattdessen sollten Unternehmen ihren Coaching-Ansatz an ihre aktuelle Reifestufe anpassen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen.
Aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung
Neueste Studien zur Organisationsentwicklung unterstreichen die Bedeutung von Coaching als Werkzeug für systemische Veränderungen. Eine Studie von Jones et al. (2023) hebt hervor, wie Coaching insbesondere in hybriden und virtuellen Teams zur Förderung von Agilität beiträgt. Es wird betont, dass flexible Coaching-Modelle, die digitale und persönliche Interaktionen kombinieren, notwendig sind, um das Engagement und die Anpassungsfähigkeit der Teams in unsicheren Zeiten zu stärken.
Eine weitere Studie der International Coaching Federation (ICF, 2022) zeigt, dass Führungskräfte, die auch als Coach agieren, wesentlich zur Förderung einer Kultur der psychologischen Sicherheit beitragen. Solche Führungskräfte schaffen Räume, in denen Mitarbeitende offen kommunizieren, Fehler machen und daraus lernen können, was Innovationen fördert und den Stress reduziert.
Fazit: Coaching als Schlüssel zur Transformation von Organisationen
Die Integration von Coaching in die Organisationsentwicklung bietet Unternehmen einen strukturierten und zugleich flexiblen Ansatz, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Schäfer und Kühl zeigen in ihrem Modell, wie Coaching je nach Reifestufe der Organisation als effektives Werkzeug zur Reflexion, Selbsterneuerung und Transformation eingesetzt werden kann. Letztendlich fördert Coaching nicht nur das individuelle Wachstum, sondern unterstützt auch die kollektive Entwicklung von Teams und Organisationen und bereitet sie auf die komplexen Anforderungen der Zukunft vor.
Quellen:
- Jones, A., Smith, P., & White, L. (2023). Agiles Coaching in hybriden Teams: Eine Studie zur virtuellen Zusammenarbeit. Journal of Organizational Development, 58(3), 234-245.
- Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen.
- Scharmer, C. O. (2020). Theorie U: Von der Zukunft her führen. Carl Auer.
- International Coaching Federation (ICF). (2022). Die Rolle von Führungskräfte-Coaching in der psychologischen Sicherheit. Abgerufen von ICF Research Portal.
- Schäfer, E. & Kühl, W. (2019). Coaching als Instrument der Organisationsentwicklung: Reflexion und Transformation in dynamischen Zeiten. Springer Verlag.
Beispiele von “coachenden Organisationen”
Unternehmen, die erfolgreich auf eine „coachende Organisation“ umgestellt haben, setzen verstärkt auf Coaching als wesentlichen Bestandteil ihrer Führungs- und Organisationskultur. Einige prominente Beispiele sind:
1. Google
Google ist bekannt für seine Führungskultur, die Coaching stark integriert. Ein internes Programm namens “g2g” (Googlers-to-Googlers) ermöglicht es Mitarbeitenden, von anderen Kolleg*innen im Rahmen eines Peer-Coaching-Ansatzes zu lernen. Googles Führungsstil fokussiert sich darauf, Mitarbeitende zu befähigen, eigenverantwortlich zu arbeiten und kontinuierlich zu wachsen.
Quelle:
- Garvin, D. A., Gino, F., & Edmondson, A. C. (2008). Is Yours a Learning Organization? Harvard Business Review.
- Bock, L. (2015). Work Rules! Insights from Inside Google That Will Transform How You Live and Lead. Twelve.
2. Microsoft
Unter der Leitung von CEO Satya Nadella hat Microsoft eine starke kulturelle Transformation durchlaufen, bei der das Coaching einen zentralen Stellenwert eingenommen hat. Nadella hat den Fokus auf eine „Lern- und Wachstumsmentalität“ gelegt, bei der Führungskräfte als Coachs agieren und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens fördern.
Quelle:
- Nadella, S. (2017). Hit Refresh: The Quest to Rediscover Microsoft’s Soul and Imagine a Better Future for Everyone. HarperBusiness.
3. Atlassian
Das australische Softwareunternehmen Atlassian setzt auf eine coachende Kultur, um Innovation und Zusammenarbeit zu fördern. Führungskräfte und Teamleiter nehmen eine Coaching-Rolle ein, um Teams bei der eigenverantwortlichen Arbeit zu unterstützen und Veränderungen proaktiv anzugehen.
Quelle:
- Atlassian Team Playbook. (n.d.). Coach, don’t tell: Why great leaders play a supporting role. Atlassian.
4. Salesforce
Salesforce fördert aktiv eine „coaching-first“ Kultur, in der Führungskräfte als Mentoren und Coaches agieren, um sowohl individuelle als auch teambezogene Leistung zu maximieren. Dieser Ansatz unterstützt die agile Arbeitsweise und die ständige Anpassung an Veränderungen.
Quelle:
- Salesforce.com, Inc. (n.d.). Building a Coaching Culture: Empower Your Leaders and Teams. Salesforce.
5. Unilever
Unilever hat Coaching als zentrales Element in der Führungskräfteentwicklung verankert. Im Rahmen der „Unilever Leadership Development“ Programme wird Coaching als Werkzeug genutzt, um die Führungskräfte in ihrer Entwicklung zu unterstützen und gleichzeitig die Unternehmenskultur positiv zu beeinflussen.
Quelle:
- Unilever Global. (2020). Unilever’s approach to leadership development. Unilever.
Diese Unternehmen zeigen, wie Coaching einen tiefgreifenden Wandel in der Unternehmenskultur bewirken kann, indem es sowohl individuelle als auch organisationale Transformationen ermöglicht.